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Boddenwerft

Ein neues Kapitel in der Geschichte von Pütnitz begann mit dem Aufbau der Bodden-Werft auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes. Grundlage dafür war der Befehl 103, der am 7. Juni 1948 durch den Obersten Chef der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), Marschall Sokolow, unterschrieben wurde. Produktionsbeginn sollte am 1. Januar 1949 sein. Am 8. Juni 1948 wurde Ingenieur Waldemar Fellmann von der Neptun-Werft Rostock mit dem Aufbau der Bodden-Werft beauftragt. Kurze Zeit später nahm er das Gelände in Augenschein, „das nur noch von einem kleinen Kommando der Besatzungsmacht belegt war und mit allen seinen Gebäuden und Hallen einen verlassenen Eindruck machte“. In der Folgezeit wurde Tag und Nacht an dem Vorprojekt gearbeitet, um rechtzeitig alle notwendigen rechnerischen und zeichnerischen Unterlagen fertig stellen zu können. Per 1. Juli 1948 wurde die Eröffnungsbilanz erstellt, die ein Anlagevermögen von rund zwölf Millionen D-Mark und einen Kassenbestand von 139 D-Mark auswies. Im Juli 1948 zählte die junge Werft 50 Belegschaftsmitglieder.

Am 7. Juli 1948 wurde mit dem Umbau der ersten Kasernen zu Unterkünften begonnen. Am 10. Juli begann unter großen Schwierigkeiten der Umbau der ehemaligen Flugzeughallen. Es musste ständig und überall improvisiert werden, so beim Aufbau der Schlosserei. Aus einem alten Luftschutzentlüfter wurde das erste Schmiedefeuergebläse zusammengebaut. „Der Schmiedefeuereinsatz wurde der pommerschen Eisengießerei abgebettelt, ein Motor wurde organisiert, der Schmied opferte einen Leibriemen und schon ging die Sache los. Es heulte zwar schrecklich, aber wen störte das schon... Aus einer alten Welle ließen wir uns einen Vorhammer machen. Schmiedezangen wurden selbst hergestellt, ein Schraubstock wurde mitgebracht, schon hatten die Türen des Verwaltungsgebäudes Schlösser, Klinken, ja sogar Schlüssel. Bald waren die Schlosser die geplagtesten Leute, was mussten sie nicht alles für Wünsche erfüllen. Kleiderspinde, Küchenkessel, Ofenrohre, Hilfsvorrichtungen, unermüdlich schafften sie, obwohl sie zuerst in einem dunklen Keller hausten und nur ein Bruchteil des benötigten Werkzeuges besaßen. Groß war die Freude, als am 27.7...eine elektrische Handbohrmaschine mit Ständer und ein großer Schweißumformer eintraf. Nun fehlten nur noch Bohrer und Elektroden.“

Am 15. August 1948 wurde mit dem Bau der Slip-Anlage und am 15. September 1948 mit dem Bau eines Lehrkutters begonnen. Da bis dahin noch keine Boots- und Zimmererwerkzeuge freigegeben worden waren, wurden in der Schmiede auf einem geliehenen Amboss in Tag- und Nachtschichten die wichtigsten Werkzeuge hergestellt.

Nachdem die Volkswerft in Stralsund das erforderliche Holz für den Kiel und die Kielbolzen geliefert hatte, konnte am 1. Oktober 1948 mit der Aufrichtung des Kiels in Verbindung mit dem Vor- und Achtersteven begonnen werden. Trotz vieler Schwierigkeiten wurde dann am 15. Oktober 1948 der zweite Lehrkutter in Angriff genommen. „Die Schmiede und Schlosserei arbeiteten fieberhaft, um den Bedarf an Bolzen und Nägeln decken zu können. Zeitweilig wurde in zwei Schichten gearbeitet, da auch mit dem Bau der eisernen Bodenwrangen und der Frischwasserbehälter begonnen wurde.“ Nur wenige Wochen später legten die Werftarbeiter zwei weitere Lehrkutter auf Kiel. 

Besonders viele Probleme machte die Gewinnung von geeigneten Arbeitskräften. Das war vor allem deshalb sehr schwierig, weil auf Befehl der SMAD nicht nur in Damgarten eine Bootswerft gebaut wurde, sondern auch Wolgast und Stralsund als Werftstandorte vorgesehen waren und diese ebenfalls zahlreiche Arbeitskräfte benötigten. Erschwerend kam hinzu, dass die bereits im Lande vorhandenen Werften viele Fachkräfte gebunden hatten. Deshalb mussten besondere Anstrengungen unternommen werden, um für die drei neuen Werftstandorte genügend Fachkräfte zu finden. Dazu betrieb die Leitung der Boddenwerft unter anderem Werbung in den Kriegsheimkehrerlagern. Gelockt wurde unter anderem damit, dass alle „Arbeitskameraden“ auf Befehl 234 der SMAD täglich eine warme Mahlzeit und 40 Zigaretten pro Monat zusätzlich erhalten sollten. Den „Arbeitskameraden“, die mit ihren Familien kommen wollten, wurde eine Wohnung in Aussicht gestellt. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass die Einrichtung einer Schule auf dem Werftgelände vorgesehen sei. Das allein reichte allerdings bei weitem nicht aus. Um eine ausreichende Zahl von Arbeitskräften zu gewinnen, wurden durch die Landesregierung Mecklenburg auch die Arbeitsämter des Landes eingeschaltet, unter anderem das Amt für Arbeit Boizenburg. In der dortigen Elbe-Werft wurden Grundausbildungslehrgänge durchgeführt. Wie aus einem Protokoll vom 22. Oktober 1948 über eine Besprechung, an der Vertreter der Boddenwerft und des Amtes für Arbeit Boizenburg teilnahmen, hervorgeht, wurden von den Umschülern des ersten Lehrganges in Boizenburg vom dortigen Arbeitsamt der Boddenwerft 135 Umschüler überwiesen. Davon haben sich dann in Damgarten allerdings nur 113 Männer gemeldet. Und von diesen hatten etliche selbst gekündigt, andere mussten entlassen werden. Damit waren im Oktober 1948 vom ersten Lehrgang nur noch rund 80 Umschüler in der Bodden-Werft. 

Ende Oktober begann in Pütnitz die Ausbildung der Umschüler und Lehrlinge. Am 1. November 1948 gab es 115 Umschüler und 20 Lehrlinge. Die Lehrwerkstätten für Bootsbauer und Zimmerer befanden sich in der Halle III. Am 11. November 1948 war der Umzug der Schlosserei von der Halle III nach Halle I beendet. Einige Tage später liefen hier bereits fünf Drehbänke, zwei Hobler, zwei Fräsen und eine Bohrmaschine.

Mit dem Stand 24. November 1948 war die Belegschaftsstärke auf 693 Mitarbeiter angewachsen. Ende 1949 waren es 2200, darin enthalten sind auch die Bauleitung, die Sozialabteilung mit Landwirtschaft, Küche, Lehrlinge usw.

Wie sich die Produktion entwickelte, darüber gibt die Betriebszeitung der Bodden-Werft. „Der Funke“ in seiner Ausgabe vom 1. Dezember 1949 Auskunft: „Während im Januar der durchschnittliche Stundenanfall für einen Kutter sich auf 47 000 belief, haben wir heute einen Stand von 17 500 Std. Im Januar betrug unsere Fertigung rund 0,6 Kutter bei 898 Mann Belegschaft, heute beschäftigen wir 2200 Mann und stellen hiermit 8 Kutter im Monat her.“

Die Kutter wurden arbeitsteilig gebaut. In der Halle I wurden alle  benötigten Eisenteile wie Nägel, Bolzen und Laschen hergestellt. In der Halle II befanden sich die Maschinen für die Fertigung der hölzernen Decksaufbauten, Planken, Spanten und für die anderen Schiffsteile. In der Halle III schließlich wurden die Schiffskörper im Taktverfahren montiert. Dort standen bis zu 15 Schiffsrümpfe gleichzeitig.

Kurt Wilke, der von Mai 1949 bis Mai 1950 auf der Bodden-Werft arbeitete, schildert die Abläufe wie folgt: „Gearbeitet wurde in mehreren Abteilungen. Zuerst wurde der Kiel aus schweren Baumstämmen zurechtgeschnitten. Das war eine schwere Arbeit. Daran schloss sich das Spanten an, das heißt, die Rippen, die dem Kutter die Form gaben, wurden zurechtgeschnitten. Zwischen den Spanten wurde auch gleich das Fundament für den Motor, der später eingebaut wurde, aus starken Hölzern gesetzt. Die Außenhaut des Kutters bestand aus 60 Millimeter starkem Holz. Wenn der Fischkutter zusammengebaut und das Deck installiert war, wurden die Fugen mit Werg dicht gemacht. Im Fachgebrauch hieß es Kalfatern. Kenntnisse aus vielen Berufen waren nötig. So waren neben den Kiellegern und Bootsbauern auch Schlosser, Maler und Ingenieure auf der Werft. Alles ging nach einem genauen Arbeitsablauf. Möglichst wurde versucht, den Plan einzuhalten, auch wenn es oft am Material fehlte...Waren die Arbeiten an Land soweit vorangekommen, wurde der Kutter zu Wasser gelassen. Ein Schlepper brachte den künftigen Fischkutter zur Endmontage. Die war ein Stückchen von den Hallen entfernt. Der Kutter war ja längst noch nicht fertig. Der Kutter lag im Wasser, und alle Arbeiten mussten unter freiem Himmel ausgeführt werden. Bei schönem Wetter ging alles gut. Aber frischte der Wind auf, dann hatte auch der Kutter ‚schweren Seegang’. Gearbeitet musste trotzdem werden. Ich kann mich erinnern, dass ich dieses Schaukelgefühl auch noch abends im Bett spürte. Bei uns in der Endmontage bekam der Kutter auch seinen Motor. Es war ein 100 PS-Diesel. Zuerst kam er aus einem Werk in der ehemaligen DDR, dann kam er aus der damaligen Bundesrepublik. Die Schlosser setzten nicht nur den Motor ein, sondern bauten auch die Netzwinde auf das Deck und vieles andere mehr. Auch die Tischler hatten in der Endmontage noch ihr Tun. Der Fischraum wurde verkleidet, das Ruderhaus montiert und auch das Mannschaftslogis fertiggestellt. Dann kam die Abnahme des Schiffes. Anschließend ging es auf Probefahrt. Wurde alles für gut befunden, ging es an die Ausstattung. So gingen beispielsweise ein 12teiliges Essservice, ein 12teiliges Kaffeeservice, Essbestecke, eine Feldschmiede mit Werkzeug und auch eine Schreibmaschine an Bord. Dann wurde das Schiff der künftigen Besatzung übergeben. Sie war meist schon vor Ort. Zumeist kamen die Fischer aus der damaligen Sowjetunion.“

Parallel zum Umbau der Flugzeughallen zu Produktionsstätten und die Schaffung von Wohnraum wurden auch große Anstrengungen unternommen, um den Werftmitarbeitern und ihren Familien ein ansprechendes soziales Umfeld bieten zu können. So wurden eine Grundschule, eine Betriebsberufsschule und eine Betriebsvolkshochschule eingerichtet. Es gab einen Kindergarten, Konsum, Schneider, Schuster und Friseur. Weiterhin standen den Werftangehörigen Betriebsbücherei, eine große Kulturhalle, Kino und Klubhaus zur Verfügung. Außerdem wurde durch die Werft für die ärztliche Betreuung gesorgt. Eine betriebseigene Landwirtschaft und Gärtnerei trugen dazu bei, die Versorgung der Werftmitarbeiter zu verbessern. Für den Transport der Arbeiter und Angestellten von Ribnitz und Damgarten zur Werft und zurück sorgten Dampfer, Autobusse und Lastkraftwagen.

Großer Wert wurde auf eine ausgefüllte Freizeitgestaltung gelegt. Prägend wirkte hier Hans Kretzer. Er war während des Krieges im Ribnitzer Flugzeugwerk zunächst für die Schulung der gewerblichen und kaufmännischen Lehrlinge in Deutsch und Rechnen zuständig. Im Juli 1942 wurde ihm die gesamte organisatorische und pädagogische Leitung des Berufserziehungswerkes sowie die schulische Ausbildung des gewerblichen und kaufmännischen Nachwuchses übertragen. Hans Kretzer gehörte zu den zahlreichen Mitarbeitern der Bachmann Flugzeugbau KG, die nach dem Krieg in der Bodden-Werft eine neue Beschäftigung fanden. Eingestellt wurde er hier im März 1949 als Leiter der Kulturabteilung. Später wechselte er in die kaufmännische Abteilung. Neben dieser Tätigkeit war er auch Leiter der Betriebsvolkshochschule. Besonderen Wert legte er dort auf die Erwachsenenbildung und organisierte deshalb Lehrgänge für Techniker im Maschinen- und Schiffbau sowie Industriewerkmeister und Industriekaufleute.

In der Bodden-Werft gab es unter anderem ein Betriebsorchester und einen Betriebs-Chor, letzterer unter der Leitung von Bruno Krause. Er war es auch, der den von Hans Kretzer stammenden Text des Boddenwerftliedes vertonte. Der Betriebs-Chor wurde ab Januar 1950 durch den FDJ-Chor verstärkt. Seit Anfang 1950 wurden im Klubhaus musikalische Übungsstunden für alle Instrumente angeboten. Großer Wert seitens der Werftleitung wurde auf Sport gelegt. Angeboten wurden unter anderem Fußball,  Schach, Tischtennis, Boxen, Leichtathletik, Bodenturnen und Frauengymnastik. Allerdings ließ die Beteiligung der Belegschaft offenbar zu wünschen übrig, wie in einem im Dezember 1949 in der Betriebszeitung erschienenen Beitrag beklagt wurde. So habe sich ein großer Teil der Frauen noch nicht dazu entschließen können, „sich sportlich zu betätigen“, um damit die Sparte Gymnastik zu stärken. Um für den Sport zu werben, wurde von der Betriebssportgemeinschaft im November 1949 erstmals im großen Rahmen ein Sportfest organisiert.     

Bis September 1950 wurden auf der Damgartener Bodden-Werft neben einigen 12-Meter Kuttern insgesamt 83 Kutter mit einer Länge von 17 Metern gebaut. Im März 1950 wurde der erste 24-Meter-Kutter auf Kiel gelegt. Von Kuttern dieses Typs verließen die Werft 35. „Der größte Teil ging an das Fischkombinat Saßnitz, aber verschiedene Kutter wurden auch als Reparationsleistung an die Sowjet-Union ausgeliefert. Die im Fischkombinat Saßnitz oder in den Fischerei-Produktionsgenossenschaften der anderen Ostseehäfen beheimateten Kutter wurden vor allem in der Ostsee eingesetzt, die größeren Kutter fischten auch in der Nordsee. Die meisten der hölzernen Kutter wurden nach etwa 20 Jahren außer Dienst gestellt. Die letzten zwei der in Damgarten gebauten 24-m-Kutter fuhren aber noch 1986 von Wismar und Stralsund zum Fischfang aus. Der letzte 24-Meter-Kutter wurde am 29. Dezember 1951 ausgeliefert. Insgesamt 130 Kutter konnten bis zu diesem Zeitpunkt gebaut werden. Zum 31. Dezember 1951 musste die Bodden-Werft die Produktion einstellen. Die Rote Armee übernahm den ehemaligen Wehrmachtsflugplatz. Viele Damgartener Schiffbauer fanden in den Werften Rostock-Warnemünde, Stralsund und Wismar eine neue Beschäftigung. Edwin Sternkiker

Passbrücke

Das Jahr 1888 entwickelte sich zu einem Schlüsseljahr für den Betrieb der Ribnitzer Passbrücke. Alte Handlungsmuster sollten letztlich dem nicht aufzuhaltenden technischen Fortschritt weichen. Ein großes Geschäft war mit dem Brückenzoll der Passbrücke im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht mehr zu machen. In den Monaten April bis Juni 1888 öffnete Albert Koeve, der Passpächter, die Passbrücke 40mal für das Passieren von Ribnitzer Schiffen und 67mal für auswärtige Wasserfahrzeuge. Für die Fahrt die Recknitz hinauf erhob er eine Gebühr in Höhe von zwei Mark. Die Fahrt in Richtung Bodden kostete nur 1,75 Mark. Die Ribnitzer Schiffer entrichteten unabhängig von der Fahrtrichtung für das Öffnen jeweils eine Mark. Die Mehrzahl der Schiffe löschte die Ladung entlang des Flusses und trat unmittelbar die Rückfahrt an. Nur vereinzelt blieben Kiesschiffe mit dem sie schleppenden Dampfer für mehrere Wochen auf der Recknitz. Eine weitere Einnahmequelle war das Verzollen von Vieh, das die Brücke überqueren wollte. Für große Tiere (z. B. Pferde und Kühe) wurden drei Pfennige und für kleinere 1,5 bis zwei Pfennige fällig. Obwohl im obigen Zeitraum allein über 6.200 große Tiere an Koeve vorbeizogen, landeten in seiner Kasse überschaubare 190 Mark. Im Idealfall durfte Koeve mit Jahreseinnahmen aus dem Heben der Brücke und dem Viehverkehr von etwa 1.400 Mark rechnen. Hinzu kam, dass er einen Teil der Fischerei auf der Recknitz mitgepachtet hatte. Im Winter blieb die Brücke in der Regel für drei Monate geschlossen, weil das Eis ein Befahren des Flusses ohnehin unmöglich machte. Den Einnahmen standen die im Pachtvertrag veranschlagten jährlichen 650 Mark Unterhaltskosten für die Brücke gegenüber.

Der Eisenbahnbau zwischen Stralsund und Rostock wurde unaufhörlich vorangetrieben. Bereits 1886 war mit dem Bau einer Eisenbahnbrücke über die Recknitz begonnen worden. Zunächst wurde der Abschnitt von Stralsund nach Ribnitz fertiggestellt. Im Juni 1888 erfolgte die Abnahme des Teilstücks zwischen dem Ribnitzer Bahnhof und der Landesgrenze. Ab Mai des Folgejahres war die Gesamtstrecke befahrbar.

Mit der Aufnahme des Bahnverkehrs vom Ribnitzer Bahnhof in Richtung Stralsund war der Betrieb der Passbrücke endgültig zu einem Verlustgeschäft geworden. Die Unterhaltungskosten der Brücke waren immer schwerer einzuspielen. „In Folge des durch die Eisenbahn abgelenkten Verkehrs“ verringerten sich die jährlichen Einnahmen durch „passierendes Vieh“ und durch „passierende Wasserfahrzeuge“ auf etwa 650 Mark. Gewinne waren nun nicht mehr zu machen. Deshalb bemühte sich Passpächter Koeve bei der Stadt Ribnitz um eine Auflösung seines Vertrages. Diese lehnte dies zunächst ab, reduzierte aber die Pachtforderung. Gleichzeitig startete die Stadt Verhandlungen mit dem Schweriner Innenministerium mit dem Ziel, die Passbrücke aus dem städtischen Eigentum zu lösen und in Landeseigentum zu überführen. Schließlich lag der Erhalt der Brücke im Interesse des gesamten Landes, so dass man „die jährlichen Reparaturkosten der Brücke im Interesse der Freiheit des Verkehrs … nicht einer einzelnen Stadt (aufbürden) dürfe“. Das Ministerium stand diesen Plänen sehr offen und mit einem realistischen Blick gegenüber. Es war offensichtlich, dass durch den Eisenbahnverkehr die Einnahmen zukünftig weiter zurückgehen würden und das man Ribnitz mit den Kosten überfordern würde. Deshalb unterbreitete das Ministerium dem nächsten Landtag die Vorschläge, dass die Ribnitzer Recknitzbrücke in landesherrlichen Besitz übergehen, der Brückenzoll aufgehoben und die Bedienung der Brücke für die Schifffahrt in staatliche Verantwortung übergehen sollte. Gerade der Brückenzoll für den Landverkehr hatte sich immer mehr zu „eine(r) sehr unangenehme(n) Belästigung für die Fuhrwerke“ entwickelt, die nicht mehr zeitgemäß erschien.

Die Verhandlungen des Ribnitzer Magistrats mit der Schweriner Landesregierung über die Übernahme der Ribnitzer Passbrücke in landesherrlichen Besitz konnten im November 1888 zum Abschluss gebracht werden. Die Ribnitzer waren im Vorfeld mit ihrem Versuch gescheitert, noch eine Entschädigungszahlung für den Neubau der Brücke aus dem Jahr 1867 zu erhalten. Damals hatte man 9000 Mark investiert. Bei einer Laufzeit von 45 Jahren waren deshalb jährlich 200 Mark zu tilgen. Das Großherzogtum erklärte sich aber nicht bereit, den Ribnitzern die verbleibenden Raten zu erstatten. So musste die Stadt weitere 23 Jahre für eine Brücke zahlen, die ihr nicht mehr gehörte. Mit Jahresbeginn 1889 übernahm das Land die Verwaltung und den Unterhalt der Brücke. Damit endete der 600jährige Ribnitzer Besitz der Passbrücke. Ein Brückenzoll wurde an diesem Grenzabschnitt zwischen Mecklenburg und der preußischen Provinz Pommern nun nicht mehr erhoben. Passpächter Koeve war ein außerordentliches Kündigungsrecht bis Ostern 1889 eingeräumt worden. Obwohl man ihm von Seiten der Stadt mit einer Pachtreduzierung entgegenkam, machte Koeve von seinem Kündigungsrecht Gebrauch. Vor dem Eigentümerwechsel war der Zustand der Brücke genau untersucht worden, denn bestehende Mängel musste die Stadt noch vor der Übergabe beheben. Deshalb untersuchten Schmied Meincke und Schiffbaumeister Wilken, beide waren Bürgervorsteher, die Brücke auf Schäden. Sie fanden nur kleinere Mängel, die sich innerhalb der nächsten zehn Tage ohne große Kosten beheben ließen. Die Öffnung der Brücke für die Schifffahrt blieb in Verantwortung der Stadt. Das Großherzogtum behielt sich jedoch vor, das Handeln der Brückenwärter mit einer ministeriellen Instruktion zu regeln. Diese verpflichtete ihn, die Brücke „während der Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang“ zu öffnen. Dampfschiffe mussten auf Verlangen auch in der Nacht durchgelassen werden. Das Öffnen hatte „sofort“ zu erfolgen, „nachdem die Meldung dazu von dem Schiffer erstattet (worden) ist“. Sollte der Brückenwärter gerade zum Fischen hinaus gefahren sein, musste der Schiffer selbst Hand anlegen und beim Öffnen der Brücke helfen, „falls er nicht die Rückkehr des Passpächters abwarten will“. Wenn mehrere Schiffe durch die Brücke fahren wollten, musste sie nach zwei Schiffen zunächst wieder geschlossen werden, um Fuhrwerken und Fußgängern das Überqueren zu ermöglichen. Zusammenhänge Schleppzüge durften geschlossen, ohne Unterbrechung die Brücke durchfahren und galten hinsichtlich der Gebühren als ein Fahrzeug. Ein Betreten der Brücke war Fußgängern erst gestattet, wenn sie sich vollständig gesenkt hatte. Der Passpächter hatte zunächst eine sichere Verriegelung vorzunehmen. Reparaturen an der Brücke waren umgehend der Großherzoglichen Chaussee-Inspection in Rostock zu melden.

Abschließend trafen sich im Januar 1889 im Ribnitzer Rathaus Vertreter der Regierung mit Bürgermeister Nizze, um ganz exakt den zukünftigen Grenzverlauf zwischen städtischem und landesherrlichem Besitz zu definieren. Neue Grenzsteine wurden gesetzt. Der Schlagbaum auf Höhe des Passgehöfts wurde entfernt. Die Chausseeverwaltung stieß bei ihrer Besichtigung auf den einen oder anderen weiteren Brückenschaden, zum Beispiel an den Brückenklappen und an der Uferverschalung. Diese mussten von der Stadt bis zum Sommer repariert werden.

Nach dem Rückzug Koeves übernahm ab April 1889 der Damgartener Seemann Ernst Kölpin die Tätigkeiten an der Passbrücke. Er blieb für die folgenden zwanzig Jahre der Passpächter. Jan Berg