Interview eines fiktiven Lokalreporters mit Bürgermeister Christian Heinrich Krauel

 

Reporter: Ich freue mich, Herrn Gerichtsrat Christian Heinrich Krauel begrüßen zu dürfen. Herr Krauel war 32 Jahre lang, von 1803 bis 1835, Bürgermeister der Stadt Ribnitz.

Krauel: Das ist richtig. 1803 übernahm ich das Amt zunächst noch gemeinsam mit Carl Friedrich Wachenhusen.

Reporter: Das müssen Sie uns erklären! Zwei Bürgermeister?

Krauel: Ja, ganz einfach: einer der beiden war immer der sogenannte „wortführende“ Bürgermeister. Darin wechselten sich die beiden ab. Der wortführende leitete die Verwaltung und der zweite war sein Stellvertreter.

Reporter: Aber seit 1809 sind Sie doch alleiniger Bürgermeister.

Krauel: Auch das ist korrekt. Eigentlich hätte ich 1809 sozusagen in die zweite Reihe treten und Wachenhusen das Amt des wortführenden Bürgermeisters übernehmen sollen. Aber mein Kollege war damals schon so krank, dass er darauf verzichten musste. Er starb dann auch wenige Monate später.

Reporter: Und warum wurde nicht wieder ein neuer zweiter Bürgermeister bestimmt?

Krauel: Interessante Frage, junger Mann. Wie sagt man heute: das lag im Trend. Vielleicht, weil man in den damaligen unruhigen Kriegszeiten andere Sorgen hatte. Womöglich wollte es gerade deshalb auch keiner machen. Oder es war ganz einfach, was man zu Ihrer Zeit „schlanke Verwaltung“ nennt.

Reporter:  Ich habe das Gefühl, fast alle meine Interview-Partner sprechen von irgendwelchen unruhigen Kriegszeiten, die ihr Leben beeinflusst hätten.

Krauel: Leider trügt Sie Ihr Gefühl nicht. Wie sagte mein Passwärter Clorius eben? Zu seiner Zeit hätten wir den Napoleon hier gehabt. Nun gut, ihn selbst nicht. Aber seine Armeen und die seiner Gegner gaben sich hier faktisch die Klinke in die Hand.

Reporter: Warum bloß ziehen alle Armeen ausgerechnet durch diese beiden kleinen Städtchen?

Krauel: Das kann ich Ihnen erklären. Erstens gehört der alte Hanseatische Botenweg zu den gut befestigten Landstraßen, auf dem überdies genau hier eine Überquerung der Recknitz möglich ist. Letztere ist sogar oft heiß umkämpft gewesen. Und unsere Passbrücke ist Ausgangspunkt für Eroberungen Richtung Pommern. Zweitens ist Ribnitz strategisch gut gelegen: man kann in Richtung Rostock und Stralsund sowie gleichzeitig in Richtung Fischland/ Küste operieren. Wenn ich mein Kriegstagebuch durchblättere, das ich zwischen 1807 und 1813 geführt habe, kann man genau das ablesen.

Reporter: Dürfen wir Ihnen dabei einmal über die Schulter schauen?

Krauel: Aber gerne doch. Hat ja zum Glück jemand abgeschrieben. Bei meiner Handschrift...(Siehe Tagebuch Krauel 1807)

Reporter: Wie konnten die Bürger das aushalten? Ständige Botengänge oder -ritte in alle Richtungen. Requirierte Pferde und Fuhrwerke. Und die Einquartierungen erst! Wie konnte eine so kleine Stadt diese Mengen an Soldaten ernähren?

Krauel: Das frage ich mich manchmal auch. Als 1815 der Krieg zu Ende war, stand buchstäblich kein Halm mehr auf den Feldern und so gut wie kein Vieh mehr in den Ställen. Die Kriegsentschädigung, die uns die Schweriner Regierung zugesprochen hatte, war oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Reporter: Herr Krauel, man kann Sie mit Fug und Recht einen Krisenmanager nennen.

Krauel: Das sagt man zu Ihrer Zeit wohl so, wenn einer mit Tatkraft und Weitsicht seine Arbeit macht? Dann nehme ich das mal als Anerkennung. War schon eine bewegte Zeit damals. Zu den Franzosen kam 1808 beispielsweise noch eine Viehseuche. Sperren Sie mal die Grenze für fremdes Vieh ab, wenn Ihnen ständig Soldaten mit ihren Pferden über die Passbrücke laufen. Da müssen Sie sich schon gerade machen! Aber diese Grenzabsperrungen waren eine gute Übung für das, was 20 Jahre später kam.

Reporter: Das hört sich nicht gut an.

Krauel: Kaum hatten wir die Kriegsfolgen einigermaßen überwunden, erreichte uns neues Ungemach: von Indien über Russland und Polen breitete sich die Cholera 1831 in Pommern aus. Großherzog Friedrich Franz I. griff hart durch und riegelte Mecklenburg nach Osten komplett ab. Nur wer lückenlos nachweisen konnte, dass er sich die letzten 10 Tage nicht in einem von der Cholera betroffenen Ort aufgehalten hatte, durfte nach Mecklenburg einreisen.

So erlebten wir, dass geheimnisvolle Krankheiten und geschlossene Grenzen nicht viel weniger bedrohlich sein können, als von allen Seiten auf die Grenze einstürmendes Kriegsvolk.

Reporter: Das kommt mir irgendwie bekannt vor!

Krauel: Ach, Epidemien ansteckender Krankheiten gibt es auch in 200 Jahren noch? Das würde besonders meinen Nachfolger Dr. Friedrich Ludwig Nizze betrüben. Er hatte sich in seiner Tätigkeit als Arzt bei der Bekämpfung der Cholera einen Namen gemacht. Auf seine Veranlassung wurde nicht nur eine Cholera-Krankenstube eingerichtet und ein Desinfektions-Apparat angeschafft. Auch gab er Rezepte für Cholera-Medizin an die Apotheke und verfasste eine Aufklärungsschrift für die Bürger. (Siehe Dr.Nizze zur Cholera)

Reporter: Waren all diese Maßnahmen denn wenigstens erfolgreich?

Krauel: So ziemlich. Als im August 1832 eine Ribnitzerin von Ihrer in Rostock an der Cholera erkrankter Tochter zurückkehrte, hatte sie sich leider selber angesteckt. Da wir sie sofort vor den Stadttoren im alten Armenhaus isolierten, gelangte die Seuche nicht in die Stadt. Die Frau aber starb trotz der fachmännischen Betreuung durch Dr. Nizze.

Leider ließ uns die Cholera lange nicht ganz los. Als sie 1859 wieder an verschiedenen Stellen ausbrach, hatten auch wir einige Opfer zu beklagen.

Reporter: Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Krauel!

Kriegstagebuch des Bürgermeisters Johann Christian Krauel 1807

  • Mai 1807 …
  • Den 7ten ...einige Schuster, um den hiesigen Solldaten die Schu… zulaßen, auch einen Schneider, um Hosen zu machen
  • Den 9ten … erhielt der E.E. Rath von der zur Befestigung von Rostock ernannten Commission ein Requistorial nach welchem 20 Mann zum Schanzen nach Rostock verlangt wurden
  • Den 10ten … Kam ein Bothe von Rostock mit einem Schreiben von den Herren Commissioniren wegen der Schanzarbeiten … in welchem 6 Wagen mit 4 Pferden requiriert wurden … verließ d.H. Lieut. v.Lesch nebst seinem Commando die Stadt
  • Den 11ten … das Commando einem holländischen Offizier … übergeben. Um 4 Uhr kam der holländische Lieut, Jurangh nebst 50 Mann Solldaten…, von welchen 18 Mann und 1 Unteroffizier nach Kirchdorff gingen und die übrigen hier blieben
  • Den 13ten … verlangte d.H. Lieut. Jurangh, daß alle Abende das Marlower Thor verschlossen, und ein Wächter dabey gehalten werden solle
  • Den 24sten … um 6 Uhr Abends kam d.H. Lieut. Gallas nebst Bedienten und Fourier und sagte auf morgen für 120 Mann Quartier an
  • Den 25sten ...rückte d.H. Hauptmann van den As hier mit 60 Mann ein … des Abends um 10 Uhr kam das Commando aus Wustrow, welches nach Rostock sollte und denselben mußte ein Wegweiser bis Willershagen gegeben werden.
  • Den 26sten … in der Nacht um 12 Uhr ließ d.H. Hauptmann van den As Lärm schlagen, ich blieb nebst den Stadtbedienten die ganze Nacht wach, und erfuhr nur des Morgens, daß 15 Mann zum Schweden übergegangen wären. Der H. Hauptman v.den As ließ auch den Fischern das Fischen untersagen.
  • Den 27sten ...reiste ich nach Rostock um den dort commandierenden H. General zu bitten, zu erlauben, daß unsere Fischer wieder fischen könnten. Es wurde bewilligt. … um 8 Uhr Abends rückte der H. Hauptmann Abersson mit 66 hier ein, um den jetzigen Commandanten v. den As abzulösen.
  • Den 30sten ...requirierte H.Haupt. Aberson zwei reitende Bothen nach Rostock. Kamen zwey Bothen zu Pferde von Wustrow, denen Rationen und Portionen gereicht werden mußten. Requirierte H.Hauptmann Aberson einen reitenden Bothen, welcher H. General von Heldring entgegen reiten mußte. Kam um 7 Uhr der Herr General v. Heldring nebst seinem Adjutanten hier an, der weil seine Hieherkunft schon einen Tag zuvor bekannt war, von mir bewirtet werden mußte. Machte der Herr General die Verfügung, daß vom 30sten hujus [des Monats] an, eine Wache auf dem alten Zoll stehe und ein Schilderhaus verfertigt werden sollte.
  • Juny 1807
  • Den 3ten … um 10 Uhr kam der H. Secritaire From als Agent hier aus Rostock wegen der schwedischen Schiffe hier an. Er erhielt frey Quartier, auch requirierte derselbe Wagen und Pferd nach Rostock. Dessen Fuhrmann erhielt 2rthl 32sch um die Fuhr zu überwachen.
  • Den 4ten … kam ein Befehl von H. General v. Heldring, daß jede Nacht einer von den Fischern Wache bey den Böthen halten sollte.
  • Den 10ten … verlangte d.H.Hauptmann, daß von heute Abend 3 Pferde unterm Sattel stehen, und alle 3 Pferde des Nachts beysammen stehen müßten.
  • Den 13ten ...Abends kam der Befehl von dem H. General von Heldring, daß H.Hauptmann Aberson seine Leute des Nachts in einer Scheune zusammen halten sollte. D.H. Senator Schulz hat dazu seine Scheunen hergegeben, d.H. Hauptmann Aberson versprach mir, dafür zu sorgen, daß keiner von seinen Solldaten weder in noch vor der Scheune Toback rauchen sollte.
  • Den 14ten ...requirierte H. Hauptmann einen Wagen, um Tornister und andere Sachen, welche die Deserteurs zurückgelassen, nach Rostock zu bringen.
  • Den 22sten ...kam der Kommißair Scheuring hier wieder an und verlangte Essen und Trinken. Requirierte d. H. Hauptmann Aberson einen reitenden Bothen nach Marlow und ein Reitpferd für sich, um nach Allerstorff zu reiten. Kam ein Solldat von Rostock, dem Quartier und Essen und Trinken auf eine Nacht gegeben werden mußte.
  • Den 23sten ...kam der Herr Hauptmann Clark hier an, um den H. Hauptmann Aberson abzulösen und er requirierte sogleich für sein Reitpferd einen Stall und Fourage, auch einen zweyspännigen Wagen, um nach dem Paß zu fahren. Verlangte H. Scheuring Pferd und Wagen nach Rostock, requirierte H. Hauptmann Clarin einen Bothen nach Wustrow und einen nach Allerstorff
  • Den 25sten ...requirierte H. Hauptmann Clarin einen Bothen nach Rostock. Kam ein Bothe von H.Hauptmann Aberson von Rostock, dem Essen und Trinken gegeben werden mußte. Kam der Commißair Scheuring zurück von Rostock und verlangte Pferd und Wagen nach Marlow. Requirierte H.Hauptmann Clarin einen reitenden Bothen nach Rostock … Blieb H. Hauptmann Klarine die Nacht in der Scheune vorm Marlower Thor …
  • Den 26sten ...requirierte H. Hauptmann Clarin einen reitenden Bothen nach Rostock. Die hiesigen Fischer mußten neue Päße nehmen und H. Hauptmann unterzeichnete sie in meiner Stube…. Requirierte H. Hauptmann Clarin einen 4spännigen Wagen, der die Nacht über bey der Scheune halten mußte.
  • Den 27sten ...kam ein reitender Bothe von Sülze, dem eine Ration und Portion gegeben werden mußte, requirierte H. Hauptmann Clarene einen 4spännigen Wagen, der die Nacht über bey der Scheune halten mußte. 
  • Den 28sten ...requirierte H. Hauptmann Clarene einen 4spännigen Wagen, um kranke Soldaten nach Rostock transportieren zu laßen. Requirierte H. Hauptmann Clarene einen 4spännigen Wagen, der die Nacht über bey der Scheune halten mußte.
  • Den 29sten ... einen Wagen nach Sülze, um den H. Hauptmann Clarene dahin zu fahren. Der Sergant Major verlangte einen Bothen nach Sülz. Verlangte H. Hauptman Clarene, daß die Schlagbäume bey den Thoren nicht heruntergelaßen würden und ich zeigte solches dem H…. Verwalter Saniter an, welcher es aber abschlug. Requirierte H. Hauptmann Clarene einen 4spännigen Wagen, der die Nacht über bey der Scheune halten mußte.
  • Den 30sten ... requirierte H. Hauptmann Clarene einen zweyspännigen Wagen, um einen kranken Solldaten nach Rostock bringen zu laßen. Requirierte derselbe einen 4spännigen Wagen vor seiner Thür, der die Nacht über halten mußte, und verlangte derselbe den Schlüssel zum Kirchhof
  • July 1807
  • Den 1sten ... requirierte H. Hauptmann Clarin einen reitenden Bothen nach Rostock und einen reitenden Bothen nach Allerstorff, auch Pferd und Wagen, um nach Wustrow zu fahren, und des Nachmittags einen reitenden Bothen nach Sülz
  • Den 2ten... requirierte H Hauptmann Clarine einen reitenden Bothen nach Rostock, einen zweyspännigen Wagen nach Allerstorff und des Abends eine 4spännigen Wagen und einen Bothen , wie gewöhnlich. Kam ein schwedischer Deserteur an, dem Eßen und Trinken gegeben werden mußte.
  • Den 3ten … des Nachmittags um 2 Uhr kamen zwey holländische Dragoner hier an, die ich bey Odewahn mit ihren Pferden einquartiert habe. Des Abends requirierte H. Hauptmann einen Wagen und Pferde wie auch einen Bothen, wie gewöhnlich
  • Den 8ten ...Requirierte H. Hauptmann Clarene einen reitenden Bothen nach Rostock, einen nach Allerstorff, einen nach Wustrow, wie auch einen Wagen nach Wustrow.  Morgens kam ein Husar von Tessin, und des Mittags ein Husar von Rostock, denen zwey Rationen und drey Portionen gegeben werden mußte. Requirierte H. Hauptmann Clarin einen reitenden Wegmacher für den Husaren nach Tessin, und des abends einen reitenden Bothen nach Rostock. Um 8 Uhr Abends kam der Commißair Scheuring hier an, dem Quartier und eßen und trinken gegeben werden mußte.
  • Den 9ten … Um 10 Uhr kam d. holländische H. Lieut. van Hoof in Begleitung eines französischen H. Capitains hier an. Sie waren von H. Marschall Brunn gesandt, und ertheilten mir die Instruction, so viel Holz anzuschaffen als zur Herstellung der Brücke auf dem Paß erforderlich sey, und selbiges auf den hiesigen Markt aufzustellen. Die Fuhrleuten müßten Portionen und Rationen gegeben werden, und die Herren frühstückten im Meyerschen Hause. Um 12 Uhr fuhren sie von hier nach Sülz ab, nachdem sie vorher Pferde requiriert hatten, und des Abend requirierte H. Hauptmann einen Bothen nach Hirschburg.                                                                                          
  • Den 10ten ...ein Wagen nach Sülz, um einen Arrestanten dahin zu bringen
  • Bis zum 16ten ..ist es mir unmöglich gewesen etwas aufzuzeichnen, weil der Tumult und die Geschäfte zu groß waren.
  • Den 16ten... requirierte die Versorgungs-Commißion 4 reitende und einen Bothen zu Fuß nach Hirschburg und weiter kam der Commißair Blamond hier an, der bey H. Senator Duncker(?) frühstückte. Kam ein holländischer Hauptman nebst 3 Lieutnants und 80 Mann hier an, die auf 4 Nächte einquartiert werden mußten. Kamen 7 Marquetender mit 3 Wagen und 4 Wagen hier an, die auf Kosten der Stadt in Wirthshäusern einquartiert wurden. Requiriert H. Hauptmann Clarene vier Pferde, um nach dem Paß zu fahren. Kam Scheuring von Damgarten und verlangte Logis. Kam ein französischer Kommißair hier nebst 2 Bedienten und 2 Pferden an, dem … Quartier gegeben werden mußte.
  • Den 17ten... requirierte die Commißion einen Bothen nach Wismar, nach Bützow und einen reitenden Bothen nach Freudenberg. Requirierte die Commißion einen Fuhrmann, um Proviant nach Pommern zu fahren, auch 20 Schragen [vglb.Feldbetten] und 560 Pott Branntwein. Kam ein Bothe vom Magistrat aus Rostock mit einem Brief, der sogleich nach Damgarten durch einen reitenden Bothen gesandt wurde. Kamen Fourier, die für 200 Mann französische Truppen vom 16. September Quartier machten. Kamen 13 blaßierte[verletzte] französische Solldaten. Von General Moletor wurden requiriert 15 große Keßel, 15 zinnene Schaalen …

Stadtarchiv Ribnitz-Damgarten, Bestand I 0250 [Abschrift weitestgehend in der originalen Schreibform; Krauel verwendet H. als Abkürzung für Herr; Schreibung von Eigennamen und Fremdwörtern nicht durchgängig einheitlich. Jana Behnke, 2021]

Dr.Nizze zur Cholera

1831