Interview eines fiktiven Lokalreporters mit der Hebamme Anna Margareta Siemon

 

Reporter: Frau Siemon, Sie wohnten ja außerhalb der Stadt. War es da nicht etwas unheimlich, wenn Sie nachts zu einer Entbindung gerufen wurden?

Hebamme Siemon: Mein Mann, der hier am Marlower Tor der Torschreiber war, hat mich immer durch das Tor in die Stadt gebracht. Und wenn ich auf die umliegenden Dörfer gerufen wurde, begleitete er mich, wenn er konnte.

Reporter: Sie waren also nicht nur für Ribnitz zuständig?

Hebamme Siemon: Für die Kämmereigüter Körkwitz und Borg auch, und manchmal rief man mich auch nach Tressentin oder Ehmckenhagen. Dorthin zu gehen, war mir nicht verboten, wenn ich dadurch keine Gebärende hier vernachlässigte.

Reporter: Heutzutage werden Hebammen inzwischen an Universitäten ausgebildet, wie muss ich mir das zu Ihrer Zeit vorstellen?

Hebamme Siemon: Man lernte beim Zusehen, oft bei der eigenen Mutter oder einer Tante. Ich muss wohl bei meinen eigenen Geburten dieses und jenes gefragt haben, so dass mich unsere alte Hebamme eines Tages ansprach, ob ich nicht bei ihr lernen und ihre Gehilfin werden wollte. Außerdem hielt ich schon immer sehr auf Sauberkeit, was zu meiner Zeit nicht selbstverständlich, aber für eine Hebamme unbedingt nötig war. Als meine Vorgängerin starb, war ich dann die einzige hier, die sich mit Geburtshilfe auskannte.

Reporter: Und es gab da keine Prüfung oder Berufung?

Hebamme Siemon: Natürlich. Bevor ich meinen Hebammeneid ablegen konnte, schickte mich der Rat zum Kreisphysikus Dr. Handtwig nach Rostock. Dieser hat mich stundenlang befragt. Was bei natürlichen Geburten zu tun sei? Welche Hilfen man anwenden kann, wenn das Kind verkehrt im Mutterleib liegt? Was man bei der Geburt eines bereits toten Kindes beachten muss? Wie Wöchnerin und Neugeborenes zu behandeln sind? Er hat sich danach in seinem Bericht an den Bürgermeister recht zufrieden über mich geäußert. Einiges hatte er mir noch erklärt und mir Bücher mitgegeben, in denen ich auch fleißig gelesen habe. So durfte ich dann im Januar 1756 meinen Eid ablegen.

Reporter: Ähnlich dem hippokratischen Eid der Mediziner?

Hebamme Siemon: Ja, zu meiner Zeit ging das schon in diese Richtung. Die Herzogliche Medizinal-Verordnung schrieb einen solchen Eid vor. Den Gebärenden alle mögliche Hilfe zu leisten und niemandem nachteilig zu sein, wurde darin gefordert. Auch, alles Mögliche zu tun, um Mutter und Kind zu erhalten. Keinen Unterschied durfte die Hebamme zwischen Armen und Reichen machen und niemanden zurückweisen, zu dem sie gerufen wird. Auch war es ihre Aufgabe, Mutter und Kind so lange zu verpflegen, wie dies nötig war, und die Wöchnerin nicht vorzeitig zur Arbeit anzuhalten. Außerdem war es der Hebamme strengstens verboten, eine Frau während der Geburt zu verlassen, wie lange diese auch dauerte.

Reporter: Prinzipiell gleicht das dem ärztlichen Eid.

Hebamme Siemon: Meine Vorgängerinnen mussten noch ganz andere Schwüre hinzufügen, Stadtschreiber Warwegh hat diesen Eid in seine Chronik geschrieben. Sie hatten dem Rat mitzuteilen, wenn ein Kind zu kurze Zeit nach der Hochzeit geboren wurde. Verstehen Sie?

Reporter: Ääh.

Hebamme Siemon: Vorehelicher Beischlaf! Das wurde streng bestraft, und die Hebamme musste Zeugnis ablegen, wenn ein Kind nur wenige Monate nach Eheschließung völlig ausgereift auf die Welt gekommen war.

Reporter: Hat man Sie nicht zu bestechen versucht?

Hebamme Siemon: Natürlich. Aber um ein Handgeld hätte ich nie ein Auge zugedrückt. Eher, wenn mich die jungen Leute dauerten. Die Sitten waren streng, zu streng für manches unschuldige Mädchen, das verliebt den Versprechungen eines jungen Mannes geglaubt hatte. Aber wenn sie ein ungezügeltes Leben führen wollten, diese jungen Weibsbilder, dann mussten sie auch die Folgen tragen.

Reporter: Seien Sie nicht zu streng! Die Zeiten werden sich ändern. Obwohl es auch heutzutage nicht immer leicht ist, ein Kind allein großzuziehen.

Hebamme Siemon: Mag sein, dass sich die Zeiten ändern! Aber ich habe mir dem Rat gegenüber nichts zuschulden kommen lassen und die Hurenkinder angezeigt, wie von mir verlangt. Jede Hebamme weiß, wie eine Schwangerschaft frühzeitig zu beenden ist. Manchmal ist das nötig, um eine Frau und ihre bereits geborenen Kinder zu schützen. Aber es ist und bleibt eine Sünde. Um der Wollust damit Vorschub zu leisten, hätte ich es nie gemacht. Mir taten bloß die armen Würmchen leid, die oft ungeliebt in ärmlichsten Verhältnissen aufwachsen mussten.

Reporter: Sehen Sie!

Hebamme Siemon: Und was hätte die Hebamme dabei tun sollen? Bestenfalls Mutter und Kind nach der Geburt ein bisschen länger versorgen als nötig. Was ich oft genug gemacht habe. Manche Wehemutter, wie wir auch genannt wurden, hätte das gar nicht gekonnt. Die meisten von uns leben seit Jahrhunderten an der Grenze zur Armut.

Reporter: Sie waren doch von der Stadt zur Hebamme berufen. Wurden Sie so schlecht bezahlt?

Hebamme Siemon: Bezahlt hat die Stadt uns gar nicht. Das einzige waren ein paar Steuervergünstigungen und frei Haus ein Anteil Holz und Torf zum Heizen. Mir ging es noch vergleichsweise gut, da wir durch meinen Mann freie Wohnung in der Torschreiberbude hatten.

Reporter: Aber Sie müssen doch für Ihre Arbeit entlohnt worden sein!

Hebamme Siemon: Sicher. Es war festgelegt, wieviel die Familie der Hebamme für ihre Dienste zu zahlen hatte. Bei manchen Handwerkern oder Kaufleuten kam ich durchaus auf meine Kosten. Aber auch in den ärmsten Familien wurden Kinder geboren, manchmal mehr als gut für die Frauen gewesen wäre. Sollte ich dort die letzten Schillinge nehmen und genau wissen, dass der Vater den Kindern kein Brot mehr kaufen konnte? Da musste es bei einem Dankeschön bleiben und dem Versprechen zu helfen, wenn ich seine Dienste gebrauchen würde.

Reporter: Hat sich das irgendwann geändert?

Hebamme Siemon: Von Gesetzes wegen schon. Sollte aber noch fast 200 Jahre dauern. 1920 wurde eine reichsweite Gebührenordnung verabschiedet. Die Hebammen sollten von jeder Gemeinde 20 Mark pro Geburt bekommen und eine Mark pro zurückgelegten Kilometer am Tag und 2 Mark in der Nacht. Im selben Jahr beschloss die Ribnitzer Stadtverordnetenversammlung eine jährliche Vergütung von 300 Mark für die beiden städtischen Hebammen.

Reporter: Hört sich doch gut an.

Hebamme Siemon: Auf dem Papier schon. Aber bedenken Sie, es kamen Inflation und Krieg. Da wurde nichts besser, im Gegenteil. Lesen Sie mal die Passgänge 2017.

Reporter: Danke für das Gespräch und den Tipp, Frau Siemon!

 

 

Hebammenbuch der Anagreta Siemon 1756-1765

Hebammenbuch Teil 1

Hebammenbuch Teil 2

Eyd der Wehemütter

Ich … lobe und schwere, das ich bei den Frowen, sie sein arm oder reich, dar zu

ich in Kindesnöthen gefurdert werde, meinen besten Fleiß anwenden will.

damit durch Gotts hülffe eine gesunde leibes frucht zur welt geboren.

Und nichts von meiner Seite daran aus Hass, neidt, freundsche, veintschaft oder

anderer Ursachen willen vorsehen wolle.

Auch die jenigen, die ich weiß oder erfahre,

das sie nach ihrer ehelichen vortrowung zu rechnende, allzu zeitig zu liggen kommen,

anmerken werde.

Und auch, wenn ich sehen und erfahren werde, das hurren  Megde vorhanden ...

einem Erbaren Rahte und Gerichte ... dieses offenbaren will und nicht verschweigen.

Auch selber zu keiner heimblich geburth  umb gifft und gabe willen helfen

Und das sie also ungestraffet bleiben mügen befurderen und gehe nicht vorhelen.

So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort.

 

Chronik Caspar Warwegh, Seite 597