Interview eines fiktiven Lokalreporters mit Passpächter Carl Clorius (ca.1750-1825)

 

Reporter: Viel Arbeit auf dem Pass, Herr Clorius?

Clorius: Die Arbeit würde mir nichts ausmachen. Liebend gerne zöge ich die Brücke mehrmals am Tag auf, um Kähne durchzulassen, wenn dafür nur alles friedlich wäre. Seht, dort kommen in Damgarten stationierte Soldaten. Die wollen in den Ribnitzer Krug, weil ihnen das Bier in Damgarten zu dünn ist. Heute Abend sind sie sternhagelvoll, denn auch der Branntwein ist dort gut. Hoffentlich lassen sie auf dem Heimweg das Passhaus rechts liegen.

Reporter: In Kriegszeiten ist der Passwärter wohl nicht um sein Amt zu beneiden?

Clorius: Das kann man wohl sagen. Nur ein paar friedliche Monate blieben mir nach Amtsantritt bis Napoleons Soldaten kamen. Und ein gutes Jahr am Ende meiner Pachtzeit, wo wieder Frieden herrschte. Obwohl am Pass dadurch die Zeiten nicht ruhiger wurden.

Reporter: Wie meinen Sie das?

Clorius: Na, am gegenüberliegenden Ufer war ab 1815 Preußen. Durch einen Vertrag, den sie im fernen Wien geschlossen hatten. Und die Preußen haben’s ja mächtig mit dem Säbelrasseln! Das haben wir Passwärter schon früher zur Genüge mitbekommen. Als es in Ribnitz drüben gebrannt hat, 1759, hatten die Preußen gerade wieder einen Krieg angezettelt. Marschierten hier durch und suchten nach Rekruten für ihre bunten Uniformen.

Reporter: Da kannte doch der Passwärter sozusagen „aller Herren Länder“.

Clorius: Na Dankeschön, auf die Soldaten von dort hätten wir Passwärter gerne verzichtet. Zahlten keinen Zoll und auch nicht für das Aufziehen der Brücke. Plünderten die Fischkörbe. Holten das Vieh aus dem Stall. Ruinierten den Garten. Und was alles im Passhaus geschah, darüber will ich gar nicht reden. Und meistens spielte sich auch noch irgendein Offizier auf und übernahm das Kommando am Pass. Und wir Passwärter hatten nach seiner Pfeife zu tanzen. Von Bürgermeister und Rat in Ribnitz war keine Hilfe zu erwarten.

Reporter: Das alles hat die Passbrücke doch sicher nicht schadlos überstanden?

Clorius: Natürlich nicht! Allein der damals noch häufig vorkommende Eisgang auf der Recknitz hat der Brücke stark zugesetzt. Auf einem der Bilder am Boden der Grenzlandausstellung ist noch die einfache Holzkonstruktion zu sehen. Da musste jedes Frühjahr etwas repariert werden. Hinzu kamen Sturmfluten wie die 1625. Einfach fortgeschwemmt war die ganze Brücke damals worden. Die Kosten blieben bei der Stadt hängen. Der herzogliche Voigt wollte keinen Pfennig und kein Stück Holz dazugeben, obwohl die Verbindung nach Pommern doch für das ganze Land wichtig war. Auch als kurz nach meinem Amtsantritt 1806 die Franzosen hier einmarschierten, war die Brücke mal wieder stark beschädigt und hätte eine ganze Armee niemals mehr ausgehalten. Da ließ ihr General die Ribnitzer im Dezember massenweise Holz auf dem Marktplatz stapeln. Alle verfügbaren Boote mussten sich bereithalten, um das Holz in die Recknitz zu schaffen. Die Arbeiten mussten schnell erledigt werde, denn General Mortier plante einen Feldzug nach Pommern.

Reporter: Unsere Leser lieben spannende oder geheimnisvolle Geschichten. Haben Sie da etwas für uns auf Lager?

Clorius: Mehr als mir lieb ist! Von der Schmuggelei habe ich ja schon im Film erzählt. Auch davon, dass beide Seiten gerne Vagabunden nachts heimlich über die Grenze schafften. Hätten alle Passwärter Tagebuch geführt, könnte man dort beispielsweise von nächtlichen Schüssen auf heimlich in der Recknitz fischende Damgartener lesen. Oder von dem militärischen Sperrkorridor, der während der Cholera 1831/32 entlang der Grenze errichtet wurde. Niemand wurde durchgelassen, der nicht nachweisen konnte, dass er sich die letzten 10 Tage nicht in Seuchengebieten aufgehalte hatte. Grundsätzlich als verdächtig galt, wer von jenseits der Oder kam. Auch wer kürzlich in Berlin oder Prenzlau gewesen war - Ende der Reise und für 10 Tage in Qua…quarantäne.   [siehe Instruktionen zur Bekämpfung der Cholera]

Wenn Sie mich fragen, richtig so! Die Ribnitzer haben sogar ihre Stadttore dicht gemacht und extra neue Schlösser eingebaut. Dafür hat der Stadtmedicus Dr. Nizze gesorgt. Kluger Mann! Auch ein ganz neumoderner Apparat wurde angeschafft – Desinfek… naja, Sie wissen schon! Als im zweiten Jahr die Krankheit in ganz Deutschland abflaute und Mecklenburg verschont geblieben war, ließ der Großherzog das Militär wieder abrücken. Ein Vierteljahr später sind die Leute in Rostock immer so weggestorben.

Reporter: Hm, kommt mir irgendwie bekannt vor…

Clorius: Ribnitz hatte Glück! Nur eine Frau starb, nachdem sie ihre cholerakranke Tochter in Rostock besucht hatte.

Reporter: Trotzdem waren sicher nicht alle von den strengen Maßnahmen begeistert gewesen?

Clorius: Natürlich nicht. Man ließ sich schon was einfallen, um die Verbote zu übergehen. Da es den mecklenburgischen und pommerschen Fischern nicht erlaubt war, sich auf dem Wasser mit ihren Booten einander anzunähern, kamen Fischer Berlin aus Damgarten und Fischer Thiel aus Ribnitz auf eine geniale Idee. Jeden Morgen kam Berlin mit einem Gesundheitspass über die Brücke, stieg zu Thiel in dessen Boot und gemeinsam fischten sie auf dem Ribnitzer See. Abends ging Berlin wieder über die Brücke nach Hause. Den Erlös ihres Fangs teilten sie.

Reporter: Clever!

Clorius: Noch gewitzter wollte der Hamburger Kaufmann Hermann Hinrichsen sein. Er musste wegen eines fehlenden Reisenachweises fünf Tage in Damgarten bleiben, bis er nach Mecklenburg einreisen durfte. Dafür verlangte er doch tatsächlich hinterher vom Ribnitzer Bürgermeister 6 Taler und 19 Schilling Schadenersatz wegen entstandener Unterkunfts- und Verpflegungskosten! Und er ließ es sich nicht schlecht gehen in Damgarten! [siehe Entschädigungsforderung für Choleramaßnahmen]                                 

Reporter: Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Wie muss man sich das Passhaus von anno dazumal vorstellen?

Clorius: Zunächst einmal stand es viel weiter an der Brücke als im 21.Jahrhundert. Das sieht man auch auf dem alten Foto rechts. Als 1994 eine neue breite Brücke gebaut wurde, rückte das Passhaus einige Meter nach hinten. Wie das Vorgängerhaus beschaffen war, lässt sich in einem Inventarium von 1859 nachlesen. [siehe Inventarium 1859]

Reporter: Und wie gefällt Ihnen das Schilderhäuschen in der Grenzlandausstellung? Gab es so etwas überhaupt?

Clorius: Auf gar keinen Fall werden sich Mecklenburg und Preußen ein gemeinsames Schilderhaus geteilt haben. Und mit Farbe ging man zu meiner Zeit auch nicht so verschwenderisch um. Ich erinnere mich, zum Ende meiner Amtszeit 1816 wurde hier ein kleines Wachthaus errichtet, auch ein Staketenzaun mit Holztor am Zugang zur Brücke.

Reporter: Aha! Dann will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten. Da kommt gerade ein neuer Salzkahn. Die Brücke muss jetzt hoch. Vielen Dank, Herr Clorius!

Der Pass und seine Hüter

Wie kamen die Ribnitzer in den Besitz der Passbrücke?

Im Jahr 1286 kaufte die Stadt Ribnitz die Passbrücke von den Herren Dechow auf Pütnitz. Diese hatten die Brücke und das Recht auf Erhebung eines Brückenzolls vom Ratzeburger Domkapitel als Zugabe zu ihrem Lehen Pütnitz erhalten. Doch bald stellte sich heraus, dass sie kaum in der Lage waren, die Brücke zu bewirtschaften. Und so wurde diese ihnen eher ein Klotz am Bein, der nur Geld kostete, statt welches einzubringen.

Den benachbarten Damgartenern war man wohl nicht gut gesonnen, vielleicht konnten diese auch den geforderten Kaufpreis von 70 Mark Rostocker Münze nicht aufbringen. Und so ging der Pass für eben diese Summe in den Besitz der Stadt Ribnitz über. Doch mit dem Besitz der Brücke war nicht nur das Recht auf Zoll verbunden, sondern auch die Pflicht, die Brücke instand zu halten, was den Ribnitzern in der Folge schmerzlich bewusst werden sollte

Von den ersten Jahrhunderten nach dem Kauf der Passbrücke ist nicht viel bekannt. Auch war das Recht der Ribnitzer, Zoll auf der Recknitzbrücke erheben zu dürfen, nicht ganz unumstritten. Ein Grenzzoll an dieser Stelle hätte für die Landesfürsten eine potentielle Einnahmequelle sein können, die sie tatsächlich versuchten den Ribnitzern streitig zu machen. Auch war der Hansestadt Rostock diese Zollstation in unmittelbarer Nähe ein Dorn im Auge. Nach langen Auseinandersetzungen, in die auch das St.-Klaren-Kloster einbezogen war, dem mit seiner Gründung 1323 zunächst der Brückenzoll zugeschrieben wurde, sah sich der Landesherr 1486 zur Bestätigung des Ribnitzer Privilegs genötigt.

Dieses wurde 1505 abermals bestätigt.

Der Passwärter war wohl zu dieser Zeit noch städtischer Angestellter, der wie damals üblich, einen Eid über die ordnungsgemäße Ausübung seines Amtes schwören musste. Wozu ihn „Bürgermeister und Rath geordert“, so sollte er „treulich und fleißig“ den Zoll einnehmen zum Besten von Bürgern und Rat. Auch schwor er, den Zoll ordnungsgemäß und in voller Höhe bei der Stadtkämmerei abzuliefern, nichts zu „verwahrlosen“ oder gar zu behalten. Auch musste er streng darauf achten, dass sich niemand seiner Zollpflicht entzog. Ebenso war er für die Einhaltung der Fischereiregeln auf der Recknitz verantwortlich.

Wann die Stadt dazu überging, den Pass auf einige Jahre zu verpachten, ist nicht bekannt. 

Wer waren die Passwärter?

Die Stelle des Passwärters wurde mindestens ab dem 18. Jahrhundert von der Stadt Ribnitz in der Regel für einen Zeitraum von 6 bis 10 Jahren ausgeschrieben. Aufgabe des Passwärters war es, für Ruhe und Ordnung auf dem Pass zu sorgen, die Passgebühren von den Reisenden zu kassieren und bei der Stadtkasse abzuliefern. Auch darauf, dass kein Pommer vom feindlichen Ufer aus Fischfang in der Recknitz betrieb, musste er ein Auge haben. Das Hochziehen der Brücke für die Durchfahrt von Schiffen brachte ihm von jedem Bootsführer einen festgesetzten Obolus ein.

Laut Pachtvertrag standen ihm freie Wohnung im Passhaus und Nutzungsrecht für die dazugehörigen Gärten, Wiesen und Scheunen zu. Außerdem durfte nur der Passwärter zwischen Recknitzmündung und Passhaus sogenannte Fischhölzer im Wasser verankern und den Fang als Nebenerwerb veräußern.

Auch wenn es für die Stelle meist etliche Bewerber gab und nur der Höchstbietende den Pachtvertrag über die von ihm vorgeschlagene Summe bekam: der vermeintlich Glückliche hatte kein leichtes Amt anzutreten.

Ganz abgesehen von Kriegszeiten, wo der Passwärter zwischen Mecklenburg auf dieser und Pommern auf der anderen Seite der Brücke um Leib und Leben fürchten musste! Nicht selten standen Passhaus und Nebengelass unter Wasser, wurden das Gartenland weggespült und die Fischkörbe vom Hochwasser zerrissen. Manch Passpächter konnte wegen solcher Widrigkeiten die vereinbarte Pachtsumme nicht aufbringen und musste vorzeitig aufgeben. Nachlass auf die Pacht gab es selten. (siehe Pachtvertrag von 1899)                                                      

 

Folgende Passpächter werden erwähnt:

Hans Brandt 1679

Christian Steffens 11. Juli 1681

Jochim Priegnitz 20.Nov. 1686

Steffer Lindenbek 21. May 1688

Hinrich Moller in der Thorbude 23. April 1703

Michel Schröder auf den Pass xxxx

Peter Brühl aufm Pass 10. Jan. 1718                   

(aufgeführt zusammen mit ihrem Eid, den sie der Stadt Ribnitz leisten mussten, in der Stadtchronik von Caspar Warwegh, begonnen 1610, Stadtarchiv Ribnitz-Damgarten)

Passmann Schulz bis Michaelis 1769

Carl Franck         1780

1805-1816 Carl Clorius

30.02. 1835 Joachim Thiel

1860 sein Sohn Johann Heinrich Thiel

21.5.1869 bis 1881 Carl Albrecht

1872 Ludwig Runzel aus Damgarten

1989-1899 Ernst Kölpin

1899-1909 Ernst Kölpin

1909 Kaegebein

1929 Passpächter Conrad

(Quellen Stadtarchiv Ribnitz-Damgarten, Bestand I)

                                                                                                                                                                                                                                                

 

Inventarium des Passhauses 1860

Das Passhaus 1860 

                                                                                                                                                                                                                                                

 

Pachtvertrag von 1899

Pachtvertrag 1899