Interview eines fiktiven Lokalreporters mit Prediger Johann Pasch

 

Reporter: Herr Pastor, von Ihnen stammt eine 1697 erschienene Schrift mit dem Titel „Himmelschreyendes Ribbnitz“. Ist das nicht ein wenig übertrieben?

Pasch: Im Gegenteil, bei meiner Einführung habe ich das reinste Sodom und Gomorrha vorgefunden. Kein Wunder, die beiden Prediger waren lange Jahre alt und krank gewesen, auch 1684 und 1685 verstorben. Danach war die Stadt ohne Hirten, bevor mich unser Herzog 1688 als Pastor und Präpositus hier eingesetzt hat. Auch wurde mir zur Untersuchung der hier herrschenden Missstände der Kanzleirat Johann Schulz beigegeben.

Reporter: Und da traten tatsächlich solche himmelschreienden Verhältnisse zu Tage?

Pasch: Und nicht nur das! Meine Person wurde sofort vom damaligen Kirchenvorsteher Matthias Kalkhorst aufs Korn genommen, da ich seine schmutzigen Geschäfte sofort durchschaute.

Reporter: Das hört sich ja beinahe kriminell an.

Pasch: Wie anders würden Sie es bezeichnen, dass wir bei einer für den 6.Juni 1690 im Beisein des Diakons, beider Kirchenvorsteher und des Bürgermeisters angesetzten Inventur eine Reihe von Gegenständen aus Kircheneigentum als verschwunden registrieren mussten? Ein samtenes Messgewand, zwei reich mit Korallen und silbernen Knöpfen verzierte Altardecken, eine silberne Oblatenbüchse, ein Kruzifix von einem alten schwarzen Messgewand und ein Buch, welches seine Durchlaucht an alle Gemeinden hatte verteilen lassen.

Reporter: Und niemand wusste, wo das alles geblieben war?

Pasch: Die beiden Altardecken hatte Kirchenvorsteher Kalkhorst 1683 in das Haus des alten Pastors Henrici bringen und dort den Zierrat entfernen lassen. 15 Taler wurden der Kirche dafür angeblich gutgeschrieben. Für das Silber gab Münzmeister Mannies in Rostock 31 Gulden. Alles andere ward nie mehr gesehen.

Reporter: Im Zweifel für den Angeklagten! Vielleicht waren die Sachen einfach nicht mehr zu gebrauchen und wurden weggeworfen?

Pasch: Aber das ist es ja nicht alleine. Die Kirchenlade mit allen Urkunden hat Kalkhorst zu sich nach Hause schaffen lassen und gibt sie auch jetzt nicht heraus, obwohl ich ihn schon mehrfach aufgefordert habe. Stellen Sie sich vor, sein Haus wird von Dieben heimgesucht, die dort zurecht etwas Wertvolles vermuten! Vor Kirchenraub scheuen die meisten Vagabunden zurück, aber nicht, wenn sich der Kirchenschatz in einem Privathaus befindet.

Reporter: Das sollte Matthias Kalkhorst doch auch wissen.

Pasch: Diese Krämerseele weiß nur, wie er sein eigenes Säcklein am schnellsten füllt. Nach meinem Fortgang ist er sogar Bürgermeister geworden. Gegen mich hat er sofort Stimmung gemacht, ich war ja auch nur ein Zugereister. Da war den Ribnitzern der eigene Klüngel lieber als einer, der ihnen auf die Finger guckte.

Reporter: Nun ja, dass in ländlichen Gegenden jeder jeden kennt und mit ihm sogar weitläufig verwandt ist, das gibt es heute noch. Da kommt leicht der Verdacht der Vetternwirtschaft auf.

Pasch: Das können Sie laut sagen. Der Kalkhorst hatte sogar seinen Bruder Hinrich, der von Beruf Schneider gewesen war, zum Küster gemacht. Da war der Griff in die Kirchentruhen ein Leichtes. Und Mauscheleien standen auf der Tagesordnung. Die Pfarrhäuser und Kirchenwohnungen waren in schlechtem Zustand, weil alle Jahre nur die schadhaften Stellen geflickt und überstrichen wurden.  

Reporter: Das ist ja rausgeschmissenes Geld!

Pasch: Wohl für die Kirche, aber nicht für Kalkhorst! Raten Sie mal, von wem das Material für die Reparaturen kam?

Reporter: Nein! Im Ernst?!

Pasch: Matthias Kalkhorst war Kaufmann. Rechnungen belegen, dass er der Kirche das Pfund Eisen für 17 Gulden verkauft hat, obwohl dieses in Rostock 13 Gulden und in Stralsund gar nur 12 Gulden kostete.  Grobschmied Hermann Meyer musste das Eisen für alle Arbeiten an Kirchenbauten bei ihm kaufen. Man erzählte mir hinter vorgehaltener Hand, des Vorstehers Frau habe dieses Eisen einen Dreck genannt und sich geweigert, ihre Truhe damit neu beschlagen zu lassen. Die musste Kalkhorst mit nach Rostock zum Beschlagen nehmen.

Reporter: Das lässt tief blicken!

Pasch: Aber so recht wollte mir keiner glauben. Dabei habe ich doch das Übel am eigenen Leib gespürt. Mein Haus war nicht nur zugig und feucht. Wegen des weichen, bröckeligen Eisens der Türhängungen und -schlösser war jeden Monat an den Haus- und Zimmertüren zu reparieren, damit sie sich überhaupt schließen ließen.

Reporter: Die Missstände lagen doch auf der Hand, haben Sie keine Unterstützung bei Bürgermeister und Rat gefunden?

Pasch: Ihwo! Frau Bürgermeisterin Völschen schickte mir ein Dienstmädchen ins Haus, das mich wohl nur ausspionieren und zur Verzweiflung treiben sollte. Ein gottloses Weibsbild, faul, versoffen, trotzig und verlogen. Da habe ich sie züchtigen müssen. Was Matthias Kalkhorst zum Anlass genommen hat, mich vor Gericht zu zerren. Zu den Anhörungen ist dann auch mein Traktat zum „Himmelschreyenden Ribbnitz“ entstanden.

Reporter: Na ja, Dienstboten zu schlagen kann ich auch nicht gutheißen!

Pasch: Paperlapapp, das war damals so üblich. Strenge war ein Herrschaftsprinzip, wie Prinzessin Cecilie so schön sagte.  Dieses schreckliche Weib hat mir dann den Dienst aufgesagt und ist gen Westen gezogen. Der Gipfel ist allerdings, wo sie Unterschlupf gesucht hat: bei meiner Mutter in Ratzeburg! Hat ihr weißgemacht, sie sei schwanger, machte aber um die Vaterschaft ein Geheimnis. Was musste meine Mutter da denken?

Reporter: Vermutlich das Schlimmste: dass Sie es waren.

Pasch: Zum Glück konnte ich den Verdacht von mir weisen. Da meine Mutter diese verlogene Person nicht länger im Hause haben wollte, zog die weiter nach Hamburg, wo sie in Schande bei einem Soldaten lebte. Ob sie tatsächlich schwanger war, weiß kein Mensch; jedenfalls tauchte sie anderthalb Jahre später wieder in Ribnitz auf, alleine.

Reporter: Aber wie ging denn nun der Streit um die „Herrschaft“ über die Marienkirche zwischen Ihnen und Matthias Kalkhorst weiter?

Pasch: Kalkhorst hat weiter Wachs, Flachs und Oblaten an die Kirche verkauft. Und ich habe versucht, von der Kanzel dieses gottlose Treiben zu bekämpfen. Höhepunkt der Auseinandersetzungen waren aber die Reparaturarbeiten am Glockenturm, die der Kirchenvorsteher ohne mein Wissen am Pfingstdienstag 1690 durchführen ließ.  Pfingstdienstag war damals noch ein Feiertag, an dem man eigentlich nicht arbeitete. Aber in Rostock war Pfingstmarkt, den Kalkhorst unbedingt besuchen wollte, und so fand er tatsächlich drei Arbeitsleute. Alle schon über 60 Jahre alt.

Reporter: Waren die Arbeiten denn so schwierig?

Pasch: Und ob! Über 30 eichene Bretter waren 20 Klafter [ca. 36m] inwendig im Turm hochzuziehen, jedes 11 ½ Ellen [ca. 6,6m] lang, zwischen 3 und 4 Ellen [ca. 1,7-2,3m] breit und 2 Zoll [4,8cm] dick.

Reporter: Heute würde man dafür einen Kran nehmen.

Pasch: Zu meiner Zeit war Muskelkraft gefragt. Was auch gar nicht so schlimm wäre, wenn das Material nicht, wie immer bei Kirchenvorsteher Kalkhorst, derart minderwertig wäre. Die beide Stricke, mit denen die schweren Eichenbretter hochgezogen werden sollten, waren alt und mehrfach geflickt, das eine sogar bereits 7 mal.

Reporter: Unverantwortlich!

Pasch:  Genug Leute haben gewarnt: der zweite Kirchenvorsteher Hinrich Köhn, der Handlanger Hans Vieton und nicht zuletzt ich selbst. Und was hat uns Matthias Kalkhorst geantwortet? Haben die Stricke so lange gehalten, werden sie es wohl auch noch weiter tun. Und mir sagte er gar, ich sollte hingehen und meiner Kanzel warten. Für die Kirchenbauten sei er zuständig.

Reporter: Wenn ich Sie so reden höre, würde ich meinen, das Unglück hätte nicht lange auf sich warten lassen.

Pasch: Leider allzu wahr. Aber über diese Geschichte will ich jetzt nicht reden, obwohl mich der alte Adam Zickermann schon sehr dauert. Er war zwar ein Schwätzer, aber das hatte er nun doch nicht verdient. Lesen Sie einfach nach.

Reporter: Letztendlich aber haben Sie Matthias Kalkhorst das Feld überlassen und sind fortgegangen. Er wurde Bürgermeister.

Pasch: Ach wissen Sie, junger Mann, mein Talent lag wohl eher in der Theologie und Rhetorik. Was sollte ich mich mit bornierten Kleinstädtern herumschlagen. Hier in Ribnitz hat mich niemand verstanden und niemand wollte mich.

Reporter: Sicher sehr bitter. Ich danke Ihnen trotzdem für Ihre offenen Worte, Herr Pasch!